Dieter Hoelzer, MD, PhD
Professor für Medizin, Abteilung für Hämatologie, Universität Frankfurt, Frankfurt, Deutschland
H&O Können Sie die verschiedenen Varianten der Burkitt-Leukämie erklären?
DH Das Burkitt-Lymphom und die Burkitt-Leukämie (auch reife B-Zell-akute lymphatische Leukämie genannt) haben identische zytogenetische Aberrationen, Oberflächenmarker und molekulare Genetik. Die klinischen Manifestationen des Burkitt-Lymphoms ähneln eher den hochgradigen malignen Lymphomen, während die B-Zell-ALL anderen Subtypen der ALL ähnelt. Darüber hinaus gibt es einen wesentlichen Unterschied in der Epidemiologie. Das Burkitt-Lymphom ist in Afrika endemisch und in den westlichen Ländern eine seltene Erkrankung. Bei HIV-infizierten Patienten ist das Burkitt-Lymphom eine der am häufigsten auftretenden malignen Erkrankungen als sekundäres Ereignis.
Die zytogenetischen Aberrationen sind beim Burkitt-Lymphom und der reifen B-Zell-ALL identisch: die Translokationen t(8;14)(q24;q32), t(8;22)(q24;q11), wobei letztere das Chromosom 8q24 neben dem Genlocus der schweren Immunglobulinkette auf Chromosom 14q32 widerspiegelt, und am wenigsten häufig die Translokation t(2;8)(p12;q24), die den Genlocus des Immunglobulins kappa auf 2p12 betrifft.
Das Oberflächen-Immunglobulin ist sowohl bei der reifen B-Zell-ALL als auch beim Burkitt-Lymphom vorhanden, dessen Zellen in der Regel Terminal-Deoxynukleotidyl-Transferase (TdT)-negativ sind. Die CD19-Antigene sowie die CD20-Antigene werden in mehr als 90 % der Zellen beider Krankheitsbilder exprimiert, was für die Entwicklung spezifischer Antikörpertherapien von Interesse sein könnte.
H&O Was ist die Standardtherapie für Patienten mit Burkitt-Leukämie, und welche Erfolge haben wir damit erzielt?
DH Vor zwei Jahrzehnten wurden erwachsene Patienten mit reifer B-Zell-Leukämie mit Protokollen behandelt, die für ALL entwickelt wurden. Die Ergebnisse waren düster, mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von weniger als 10 % in fast allen Berichten in der Literatur.1 Die Behandlungsstrategien für die B-Zell-ALL änderten sich jedoch, als erfolgreiche Ansätze beim Burkitt-Lymphom aufkamen.
Der erste war die Einführung von fraktioniertem Hochdosis-Cyclophosphamid beim Burkitt-Lymphom. Seitdem wurden Behandlungsprotokolle entwickelt, die hochdosierte fraktionierte Alkylierungsmittel, hochdosiertes Methotrexat (MTX) und hochdosiertes Cytosinarabinosid in Kombination mit „konventionelleren“ Medikamenten wie Steroiden, Vincristin und Anthracyclinen umfassen. Die Heilungsrate beim erwachsenen Burkitt-Lymphom verbesserte sich auf 50 %; die Ergebnisse bei der reifen B-Zell-ALL verbesserten sich ebenfalls, jedoch in geringerem Maße.
Die rationale Behandlung für diese Schemata ist die schnelle Verdopplungszeit der bösartigen Zellen. Die Behandlungszyklen haben eine kurze Länge von etwa 5 Tagen, und zwischen den Behandlungszyklen gibt es nur kurze Intervalle, um eine Erholung der malignen Zellpopulation zu vermeiden.
H&O Sind pädiatrische Schemata bei erwachsenen Patienten von Vorteil?
DH Mehr oder weniger alle erfolgreichen Schemata, die bei erwachsenen Burkitt-Leukämien/Lymphomen eingesetzt werden, sind von pädiatrischen Protokollen abgeleitet. Dies sind vor allem die CODOX-M- (Cyclophosphamid, Vincristin, Doxorubicin, hochdosiertes Methotrexat)/IVAC- (Ifosfamid, Etoposid und hochdosiertes Cytarabin) und hyper-CVAD- (hyperfraktioniertes Cyclophosphamid, Vincristin, Doxorubicin und Dexamethason)-Ara-C/MTX-Schemata sowie die Schemata der deutschen Berlin-Frankfurt-Münster (BFM)- und der französischen LMB-Studie. Mit diesen Protokollen ist die Heilungsrate des pädiatrischen Burkitt-Lymphoms/der pädiatrischen Leukämie mit einer Heilungsrate von 80-90 % sehr hoch.2,3 Als die gleichen Schemata bei Erwachsenen angewandt wurden, verbesserten sich die Heilungsraten um 50 % oder mehr, was eine erhebliche Verbesserung gegenüber der früheren Überlebensrate von weniger als 10 % darstellt, aber immer noch deutlich unter den bei Kindern erzielten Ergebnissen liegt. Insbesondere bei älteren Patienten (>50 Jahre) mit reifer B-Zell-ALL wurde nur eine bescheidene Verbesserung erzielt.
H&O Welche ungelösten Probleme gibt es bei der Behandlung der Burkitt-Leukämie?
DH Als pädiatrische Therapieschemata mit kurzen, intensiven Hochdosistherapien bei Erwachsenen angewandt wurden, verursachten sie im Gegensatz zu Kindern eine wesentlich höhere Toxizität, insbesondere Neurotoxizität und Mukositis. Diese Toxizitäten führten zu längeren Erholungsphasen und damit zu Behandlungsverzögerungen, was bei diesen Krankheitsbildern von Nachteil ist. Somit schien eine weitere Intensivierung nicht der einzige Weg zu sein, um das Ergebnis bei erwachsenen Burkitt-Lymphomen/Leukämien zu verbessern.
Eine neue Behandlungsoption für Erwachsene war die Kombination etablierter Chemotherapien mit einer Antikörpertherapie, insbesondere Rituximab (Rituxan, Genentech), da hier eine hohe Expression von CD20 vorliegt. In zwei Studien zu Burkitt-Lymphomen/Leukämie bei Erwachsenen wurde die Überlebensrate deutlich erhöht. In einer Studie wurde ein Rituximab-plus-Hyper-CVAD-Schema untersucht.4 In dieser Studie wurden 44 Patienten mit neu diagnostizierter nicht HIV-bedingter Burkitt-Leukämie, Burkitt-ähnlicher Leukämie/Lymphom oder B-Zell-ALL behandelt (mittleres Alter 46 Jahre; 23 % ≥60 Jahre). Rituximab in einer Dosierung von 375 mg/m2
wurde an den Tagen 1 und 11 der Hyper-CVAD-Behandlung und an den Tagen 1 und 8 der Methotrexat- und Cytarabin-Behandlung verabreicht, insgesamt also 8 Dosen. Die Gesamtansprechrate (CR) betrug 89%, wobei 2 Patienten ein partielles Ansprechen (PR) erreichten; alle Patienten, die 60 Jahre alt oder älter waren, erreichten eine CR. Die 3-Jahres-Überlebensraten waren besser als bei Patienten, die nur mit Hyper-CVAD behandelt wurden.
Die andere Studie ist das B-NHL/ALL-90-Schema, bei dem Rituximab ebenfalls mit einer intensiven Chemotherapie kombiniert wurde.5 In dieser Studie wurde ein Protokoll mit Rituximab in einer Dosierung von 375 mg/m2 vor jedem Chemotherapiezyklus und zwei Erhaltungszyklen sowie zusätzlich zwei Zyklen mit hochdosiertem Ara-C (2 g/m2) verabreicht. Jüngere Patienten (<55 Jahre) erhielten hochdosiertes MTX von 1,5 g/m2, und ältere Patienten (>55 Jahre) erhielten ein dosisreduziertes MTX-Regime von 500 mg/m2 und ohne hochdosiertes Ara-C; bei 227 Patienten mit Burkitt-Leukämie/Lymphom, B-Zell-ALL oder primärem mediastinalem diffus-großzelligem B-Zell-Lymphom (DLBCL) konnte nach den ersten beiden Zyklen ein Ansprechen festgestellt werden. Die CR-Rate betrug 90% bei Patienten mit Burkitt-Leukämie/Lymphom, 83% bei Patienten mit B-Zell-ALL und 69% bei Patienten mit primär mediastinalem DLBCL. Die Gesamtüberlebensrate lag bei 89 % für das Burkitt-Lymphom und bei 87 % für die reife B-Zell-ALL in einer Patientenpopulation im Alter von 15-55 Jahren.
Während die Chemotherapiestrategien für Burkitt-Lymphome/Leukämie bei pädiatrischen Patienten erforscht wurden, wird die Kombination mit einer Antikörpertherapie nun bei erwachsenen Patienten erprobt und kann auf pädiatrische Protokolle übertragen werden (z. B. für Hochrisikopatienten).
Da sich die Ergebnisse für erwachsene Burkitt-Lymphom/Leukämie-Patienten erheblich verbessert haben, gibt es nun zwei wichtige Probleme. Das eine ist die Herausforderung, die Ergebnisse weiter zu verbessern, was durch eine frühere Identifizierung von Patienten mit schlechtem Ansprechen erreicht werden könnte. Die bisher analysierten Labor- und klinischen Parameter erlauben keine eindeutige Definition einer Population mit geringem Risiko, was möglicherweise auf die kleinen Patientenkohorten in den verschiedenen Studien zurückzuführen ist. Zu den neuen Ansätzen könnte die Fluordesoxyglukose-Positronenemissionstomographie-Analyse gehören, um frühe Responder und Non-Responder zu erkennen. Letztere kämen für eine alternative Behandlung in Frage, anstatt mit dem vorgeschlagenen Schema fortzufahren.
Die andere wichtige Frage ist die Verringerung der mit diesem intensiven Chemotherapieschema verbundenen Toxizitäten. Es ist interessant, dass Rituximab das Muster und das Ausmaß der Toxizitäten nicht erhöht hat. Der nächste Schritt wäre daher die Verringerung der Anzahl der Chemotherapiezyklen (z. B. bei Patienten mit frühem Ansprechen). Allerdings darf sich eine solche Reduzierung nicht auf die hervorragenden Überlebensraten auswirken. Dies ist eine Situation, mit der wir bei der Behandlung des Burkitt-Lymphoms/der Leukämie bei Erwachsenen zum ersten Mal konfrontiert sind; unsere pädiatrischen Kollegen hatten diese Frage schon früher gestellt und erlebt. Wir sind derzeit mit der Reduzierung eines erfolgreichen therapeutischen Ansatzes konfrontiert, aber hoffentlich wird dies zu einer stärker individualisierten Therapie führen.
H&O Was sind einige neue Modalitäten, von denen man glaubt, dass sie in der Zukunft vielversprechende Ergebnisse bringen werden?
DH Aus den derzeit verfügbaren Daten und aus laufenden Studien gibt es kein klares Bild, wie man vorgehen sollte. Derzeit geht es darum, die vielversprechenden Chemo- und Antikörpertherapien bei Burkitt-Lymphom/Leukämie auf einen Standard zu bringen, aber auch darum, diese Behandlungen auf andere Patienten auszuweiten, wie es bei HIV-positiven Burkitt-Patienten gelungen ist.6 Zu den neuen Behandlungsmöglichkeiten gehören zusätzliche Antikörpertherapien, etwa solche, die gegen CD19 gerichtet sind; so hat sich beispielsweise gezeigt, dass Blinatumomab (MT-103, Micromet) vor allem die Zielzellen eliminiert.7 Weitere Behandlungsoptionen können eine verbesserte Stammzelltransplantation bei besser definierten frühen Non-Respondern oder neue Therapieklassen und -prinzipien wie molekulares Targeting (z. B. mit verschiedenen Inhibitoren) sein.
1. Hoelzer D, Ludwig W-D, Thiel E, et al. Improved outcome in adult B-cell acute lymphoblastic leukemia. Blood. 1996;87:495-508.
2. Reiter A, Schrappe M, Tiemann M. Improved treatment results in childhood B-cell neoplasm with tailored intensification of therapy: a report of the Berlin-Frankfurt-Munster Group Trial NHL-BFM 90. Blood. 1999;94:3294-3306.
3. Patte C, Auperin A, Michon J, et al. The Societe Francaise d’Onkologie Pediatrique LMB89 protocol: highly effective multiagent chemotherapy tailored to the tumor burden and initial response in 561 unselektierten Kindern mit B-Zell Lymphomen und L3 Leukämie. Blood. 2001;97:3370-3379.
4. Thomas DA, Kantarjian H, Cortes J, et al. Long-term outcome after hyper-CVAD and rituximab chemoimmunotherapy for Burkitt (BL) or Burkitt-like (BLL) leukemia/lymphoma and mature B.cell acute lymphocytic leukemia (B-ALL). Blood (ASH Annual Meeting Abstracts). 2007;110: Abstract 2825.
5. Hoelzer D, Hiddemann W, Baumann A, et al. High survival rate in adult Burkitt’s lymphoma/leukemia and diffuse large B-Cell lymphoma with mediastinal involvement. Blood (ASH Annual Meeting Abstracts). 2007;110: Abstract 518.
6. Oriol A, Ribera J-M, Berjua J, at al. High-dose chemotherapy and immunotherapy in adult Burkitt lymphoma. Cancer. 2008;113:117-125.
7. Bargou R, Leo E, et al. Tumorregression bei Krebspatienten durch sehr niedrige Dosen eines T-Zell-aktivierenden Antikörpers. Science. 2008;321:974-977.