Chronotrope Inkompetenz: eine unendliche Geschichte

Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen chronotroper Inkompetenz und erhöhter Sterblichkeit wurde in einer Reihe von Studien sowohl bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit als auch bei gesunden Personen festgestellt. 1 , 2 Diese Ergebnisse gaben Anlass zu Spekulationen, dass eine frequenzabhängige Stimulation die Prognose bei Patienten mit Herzschrittmachern und gleichzeitiger chronotroper Inkompetenz verbessern könnte. Bislang konnte jedoch in keiner Studie eine Verringerung der Sterblichkeit durch die frequenzabhängige Stimulation nachgewiesen werden. Im Gegenteil, es gibt sogar Hinweise darauf, dass die frequenzabhängige Stimulation bei Patienten mit Herzinsuffizienz von Nachteil ist. 3 , 4 Bei PM-Patienten mit erhaltener linksventrikulärer Ejektionsfraktion wurde in einer Reihe von Studien die positive Wirkung der frequenzabhängigen Stimulation auf die körperliche Leistungsfähigkeit und die kardiovaskuläre Reaktion auf Belastung nachgewiesen. Die Daten zu diesen eher schwachen Endpunkten sind jedoch widersprüchlich, da mehrere Studien negative Ergebnisse veröffentlichten. Ein wichtiger Faktor, der zu diesen widersprüchlichen Daten beiträgt, ist unserer Meinung nach das Fehlen einer standardisierten Definition der chronotropen Inkompetenz. In den meisten Fällen wird chronotrope Inkompetenz als die Unfähigkeit definiert, 85 % der maximalen altersbedingten Herzfrequenz (MPHR) 5 zu erreichen, die im Allgemeinen anhand der Astrand-Formel berechnet wird, d. h. 220 minus Alter. 6 Nicht zuletzt aufgrund unterschiedlicher Definitionen der chronotropen Inkompetenz sowie einer inkonsistenten Methodik (z. B. Studien mit und ohne Antiarrhythmika) schwankt die berichtete Prävalenz der chronotropen Inkompetenz bei PM-Patienten bemerkenswert zwischen 9 und 84 %. 7

Ein weiteres Problem bei der frequenzabhängigen Stimulation ist die Frage, ob die derzeit verwendeten Sensoren ausreichend sind. Neben aktivitätsbasierten Sensoren (z. B. Beschleunigungsmesser und piezoelektrische Kristalle) stehen weitere physiologische Sensoren (z. B. Minutenventilation, endokardialer Spitzenbeschleunigungssensor und Closed-Loop-Stimulation) zur Verfügung. Aufgrund ihrer Robustheit werden aktivitätsbasierte Sensoren trotz ihrer bekannten Nachteile in der klinischen Routine am häufigsten eingesetzt. Physiologische Sensoren werden seltener eingesetzt und sind nur in recht kostspieligen Geräten erhältlich. Physiologische Sensoren haben in der Vergangenheit oft die Erwartungen der Ärzte nicht erfüllt und sollten daher nicht unkritisch eingesetzt werden. In Übereinstimmung mit unserer klinischen Erfahrung ergaben frühere Studien widersprüchliche Ergebnisse hinsichtlich des „optimalen“ Sensors. 8 , 9 Da kein aktueller Sensortyp als optimal angesehen werden kann, muss der RR-Modus für die meisten Patienten individuell optimiert werden, was oft zeitaufwendig ist.

Ein entscheidender Aspekt der Debatte über die chronotrope Inkompetenz ist die Tatsache, dass die Ursachen der chronotropen Inkompetenz noch immer nicht vollständig geklärt sind. Frühe Studien haben gezeigt, dass die Herzfrequenz während der Belastung durch eine Verringerung der vagalen Aktivität, eine Erhöhung des sympathischen Ausflusses und durch die relative Empfindlichkeit des Sinusknotens gegenüber Katecholaminen reguliert wird. 10 Dieses Zusammenspiel kann bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen beeinträchtigt sein. Bei chronischer Herzinsuffizienz beispielsweise können die erhöhte Sympathikusaktivität und die verringerte β-Rezeptorendichte die Herzfrequenzregulation bei Belastung beeinflussen. 3

Kawasaki et al.11 liefern neue Erkenntnisse über die Mechanismen der chronotropen Inkompetenz. Um zu klären, ob eine gestörte autonome Funktion bei der Entstehung der chronotropen Inkompetenz eine Rolle spielt, analysierten die Autoren die Herzfrequenzvariabilität bei 172 Probanden ohne Anzeichen einer Herzerkrankung, die sich einem Belastungstest unterzogen. Für die Diagnose einer chronotropen Inkompetenz musste eines der folgenden drei Kriterien erfüllt sein: Nichterreichen von 85 % der MPHR, eine Herzfrequenzreserve von <80 % oder ein chronotroper Response-Index unter 0,80 bei submaximaler Arbeitsbelastung. Von 172 Probanden wiesen 72 (41,9 %) eine chronotrope Inkompetenz auf. Nach der Belastung nahm die hochfrequente Komponente (HF) in beiden Gruppen in ähnlichem Maße ab. Da man davon ausgeht, dass die HF-Komponente weitgehend von der vagalen Aktivität abhängt, schließen die Autoren, dass der vagale Entzug in beiden Gruppen gleichermaßen auftrat. Im Gegensatz dazu gab es einen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Gruppen bei der Abnahme der niederfrequenten Komponente (LF) nach dem Training. Darüber hinaus stieg das Verhältnis zwischen der LF- und der HF-Komponente nur bei Personen mit chronotroper Inkompetenz signifikant an und änderte sich nicht, wenn keine chronotrope Inkompetenz vorlag. Obwohl über die Faktoren, die die NF-Komponente beeinflussen, weniger Einigkeit besteht, schließen die Autoren aus ihren Daten, dass bei Probanden mit chronotroper Inkompetenz nach dem Training eine sympathische Aktivierung ausgelöst wurde. Diese sympathische Aktivierung führte jedoch nicht zu einem physiologischen Anstieg der Herzfrequenz. Kawasaki et al. spekulieren, dass dieses Phänomen durch eine postsynaptische Desensibilisierung des β-adrenergen Weges im Sinusknoten aufgrund einer Herunterregulierung der β-Rezeptoren als Reaktion auf die häufige sympathische Aktivierung verursacht werden könnte. Weitere Studien sind erforderlich, um Beweise für diese interessante Hypothese zu finden.

Trotz großer wissenschaftlicher Anstrengungen bleiben viele Fragen zur chronotropen Inkompetenz bis heute unbeantwortet. Wir glauben jedoch, dass – wie in den europäischen Leitlinien empfohlen – der RR-Modus bei PM-Patienten mit erhaltener linksventrikulärer Funktion und Anzeichen einer chronotropen Inkompetenz aktiviert werden sollte. Obwohl dieser Ansatz höchstwahrscheinlich keinen Einfluss auf die Gesamtprognose hat, kann er die körperliche Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität verbessern. Im Gegensatz dazu sollte der frequenzadaptive Modus bei Patienten mit Herzinsuffizienz nur mit großer Vorsicht eingesetzt werden.

Interessenkonflikt: keiner angegeben.

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Author notes

Die in diesem Artikel geäußerten Meinungen sind nicht notwendigerweise die der Herausgeber des Europace oder der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie.

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