Das kosmische Ei ist eines der bekanntesten Symbole der Weltmythologie. Man findet es in ägyptischen, babylonischen, polynesischen und vielen anderen Schöpfungsgeschichten. In fast allen Fällen taucht dieses embryonale Motiv aus der Dunkelheit auf und schwimmt in den Wassern des Chaos. In diesem Ei wohnt in der Regel ein göttliches Wesen, das sich buchstäblich aus dem Nichts erschafft (auch bekannt als „ex nihilo“). Dieser Schöpfer formt dann das materielle Universum.
Dieser „ex nihilo“-Schöpfer benutzt entweder das Material innerhalb der kosmischen Eierschale oder die Substanz des Chaos, um der Welt Form und Ordnung zu geben. Die knifflige Frage ist jedoch, was zuerst da war, der Gott oder das Ei. In einigen Mythen hat dieses Ei eine Schöpferin, oft eine Frau, die den Schöpfergott ins Leben ruft.
Im pelasgischen Schöpfungsmythos legt Eurynome (eine Version der griechischen Gaia) das Weltenei in die Gewässer des Chaos und befiehlt einer kosmischen Schlange „Ophion“, es zu umkreisen, bis es die Welt selbst ausbrütet.
Im finnischen Schöpfungsepos, dem Kalevala, wird die Welt aus den Bruchstücken eines Eies erschaffen, das eine Ente auf das Knie der Urmeer-Göttin Ilmatar legte. Der Vogel legte sechs goldene Eier und ein eisernes Ei. Als Ilmatar ihr Bein bewegte, fielen die Eier ins Meer und zerbrachen, wobei die Bruchstücke zu Land, Himmel, Sternen und Sonne wurden.
In der zoroastrischen Tradition schuf Ohrmazd (der allmächtige Gott) die Welt aus dem Chaos. Er sammelte die turbulente Materie und formte sie zu einem großen Ei. Aus dem oberen Teil der Schale formte er den Himmel, und aus der unteren Hälfte schmiedete er die Erde. Dann füllte er den unteren Teil der Schale mit Urwasser und setzte eine flache irdene Scheibe darauf.
In der slawischen Mythologie schuf Rod, das höchste Wesen, ein göttliches Ei aus dem Nichts, in dem Svarog, der Gott des Feuers, ruhte. Als seine Lebenskraft wuchs, brach das Ei auf. Die untere Schale wurde zur Erde und zum Meer, aus dem ein Weltenbaum wuchs, der die obere Schale in den Himmel drückte und das Firmament schuf.
Ein chinesischer Schöpfungsmythos beschreibt ein riesiges Urei, das das Urwesen Pangu enthielt. Das Ei zerbrach, und Pangu teilte daraufhin das Chaos in die vielen Gegensätze des Yin und des Yang, also in die Schöpfung selbst.
Die alten Ägypter sahen das kosmische Ei als die Seele des Urwassers, aus dem die Schöpfung hervorging. In einer Geschichte tauchte der Sonnengott Ra aus dem Urhügel auf, der selbst eine Version des kosmischen Eies war, das im Urmeer ruhte.
Die polynesischen Tahitianer haben einen Mythos, in dem der Gott Ta’aroa seine Existenz in einem Ei begann und schließlich ausbrach, um aus einem Teil des Eies den Himmel zu machen. Ta’aroa selbst wurde zur Erde.
Der spätere orphische Kult in Griechenland predigte, dass es am Anfang ein silbernes kosmisches Ei gab, das von der Zeit erschaffen wurde und aus dem das androgyne Wesen schlüpfte, das den Samen der Schöpfung enthielt.
In den Hindu-Schriften gibt es eine Geschichte über das ursprüngliche mütterliche Wasser der Vor-Schöpfung, das sich fortpflanzen wollte. Durch eine Reihe von langwierigen Ritualen wurde das Wasser so heiß, dass es ein goldenes Ei gebar. Schließlich schlüpfte der Schöpfer, Prajapati, aus dem Ei, und die Schöpfung fand statt.
Der spätere orphische Kult in Griechenland predigte, dass es am Anfang ein silbernes kosmisches Ei gab, das von der Zeit erschaffen wurde und aus dem das androgyne Wesen schlüpfte, das den Samen der Schöpfung enthielt.
In Afrika besagt ein Dogon-Mythos, dass sich am Anfang ein Weltenei in zwei Geburtssäcke teilte, die Zwillingspaare enthielten, die vom Schöpfergott, Amma, auf dem mütterlichen Ei gezeugt wurden. Manche sagen, dass Amma das kosmische Ei war und sich selbst befruchtete.
In der japanischen Mythologie beginnt die Schöpfung mit der Welt als chaotische, formlose Masse. Dann erfüllte ein undefinierbarer Klang die Leere und setzte die Teilchen in Bewegung, die sich zu einem Ei formten. Die leichteren Teilchen stiegen nach oben und bildeten den Himmel, während die schwereren Teilchen zu einer schweren, dichten Masse zusammenwuchsen und zur Erde wurden.
In der Bantu-Mythologie schließlich soll die Erde aus einem Ei entstanden sein. Die obere Hälfte der Schale wurde zum Himmel, einschließlich des Gottes in der Höhe, der darüber herrschte, während die untere zur Erde und ihrer Urmutter verschmolz. Aus beiden Hälften entwickelten sich die Sonne, die Sterne, die Bäume und die Tiere.
Das kosmische Ei ist eine Metapher der Potenzialität. Es ist die Vor-Schöpfung, die im Chaos steckt und darauf wartet, zum Kosmos zu werden. Diese Dualität stellt also einen Konflikt dar, der sich durch die gesamte Weltmythologie zieht, die Dualität von Chaos und Ordnung, Gut und Böse, Licht und Dunkelheit, Liebe und Hass.
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