Auf der Suche nach einem geeigneten chemischen Energieträger
Ein vielversprechender Kandidat für diese Rolle ist Ammoniak; ein Ammoniakmolekül besteht aus einem Stickstoffatom und drei Wasserstoffatomen (zum Vergleich: ein Methanmolekül hat ein Kohlenstoffatom und vier Wasserstoffatome). Ammoniak kann aus Rohstoffen synthetisiert werden, die uns im Überfluss zur Verfügung stehen, nämlich Wasser und Luft, und zwar unter Verwendung erneuerbarer Energien.
Ammoniak, NH3
Die Erdatmosphäre besteht zu etwa 78 Prozent aus Stickstoff, der sich leicht aus der Luft abtrennen lässt. Wasserstoff kann aus Wasser durch ein Verfahren namens Elektrolyse gewonnen werden. Sobald der Wasserstoff und der Stickstoff hergestellt sind, können sie in einer industrieüblichen Reaktion, dem Haber-Bosch-Verfahren, kombiniert werden, um Ammoniak zu erzeugen. Wenn für diese Prozesse erneuerbare Energien verwendet werden, wird diese Energie im Ammoniakmolekül gebunden, ohne dass direkte Kohlenstoffemissionen entstehen.
Die Ammoniakproduktion beläuft sich bereits auf 180 Mio. Tonnen/Jahr im Wert von 80 Mrd. €
Ammoniak, oder NH3, um seine korrekte chemische Bezeichnung zu verwenden, ist bereits eine bedeutende Chemikalie. Die derzeitige weltweite Jahresproduktion beläuft sich auf etwa 180 Mio. Tonnen pro Jahr mit einem Marktwert von etwa 80 Mrd. € pro Jahr.
Zurzeit werden über 80 % dieses Ammoniaks in der Düngemittelindustrie verwendet, aber es gibt noch andere, weitaus breitere Verwendungsmöglichkeiten im Rahmen der Energiewende. Es hat ähnliche Lagereigenschaften wie Flüssiggas (LPG), da es sich unter Umgebungsdruck bei -33 Grad Celsius und bei Umgebungstemperatur bei etwa 10 bar verflüssigt. Obwohl Ammoniak ein erhebliches Toxizitätsrisiko birgt, haben sich geeignete Ausrüstungen und sichere Handhabungsverfahren im Laufe der jahrzehntelangen Produktion in industriellem Maßstab gut bewährt.
Ammoniak wird weltweit in großen Mengen für landwirtschaftliche Düngemittel hergestellt, verwendet aber derzeit Erdgas oder andere fossile Brennstoffe, um sowohl den Wasserstoff als Ausgangsstoff als auch die Energie für den Syntheseprozess zu liefern. Bestehende Ammoniakproduktionsanlagen sind mit einem Anteil von etwa 1,6 % an den derzeitigen weltweiten Emissionen ein großer CO2-Emittent.
Grüner Wasserstoff steigert das Potenzial von Ammoniak
Ammoniak ist zwar für die heutigen industriellen Anwendungen von Ammoniak kosteneffizient, aber aufgrund der Verwendung fossiler Rohstoffe und Energiequellen spielt Ammoniak bisher keine Rolle als Energieträger – aber das ändert sich jetzt. Durch die Umstellung auf grünen Wasserstoff, d.h. Wasserstoff, der mit erneuerbarer Energie durch Wasserelektrolyse erzeugt wird, können die Kohlenstoffemissionen der Ammoniakproduktion vermieden werden.
Siemens Green Ammonia Demonstrator
Der Siemens Green Ammonia Demonstrator befindet sich im Rutherford Appleton Laboratory im Vereinigten Königreich und umfasst alle Technologien, die für die Demonstration des vollständigen Ammoniak-Energiezyklus erforderlich sind. Der grüne Wasserstoff wird mit einem 13 Kilowatt (kW) Elektrolyseur erzeugt, der 2,4 Normkubikmeter pro Stunde (Nm3/h) Wasserstoff produziert. Stickstoff wird aus einer 7 kW-Luftzerlegungsanlage gewonnen, die nach dem Prinzip der Druckwechselabsorption arbeitet und 9 Nm3/h Stickstoff erzeugt. Erneuerbarer Strom wird von einer 20-kW-Windturbine auf dem Testgelände geliefert.
Der Wasserstoff und der Stickstoff werden zur Herstellung von Ammoniak über eine speziell angefertigte Haber-Bosch-Syntheseeinheit mit einer Kapazität von 30 kg Ammoniak pro Tag kombiniert. Das Ammoniak wird als unter Druck stehende Flüssigkeit in einem 350 kg fassenden Tank gelagert und dann zum Antrieb eines 30 kWe-Fremdzündungsgenerators verwendet. Das gesamte System wird von einem kundenspezifischen Siemens PCS7-Steuerungssystem für den unbeaufsichtigten Betrieb gesteuert.
Das Ziel des Demonstrators ist es, zu zeigen, dass dieses Verfahren nicht nur zur drastischen Verringerung der Emissionen aus der Herstellung von Ammoniak für herkömmliche Verwendungszwecke eingesetzt werden kann, sondern dass Ammoniak auch ein praktischer Wasserstoff-Energievektor sein kann, der die CO2-Emissionen in unseren Energiesystemen weiter verringert, indem er die Speicherung erneuerbarer Energie in großem Maßstab ermöglicht.
Die Skalierungstechnologie ist bereits erprobt
Ein besonderer Vorteil von Ammoniak besteht darin, dass die Technologie, die für seinen Einsatz als Energieträger erforderlich ist, bereits in der erforderlichen Größenordnung vorhanden ist: industrielle Luftzerlegungsprozesse zur Erzeugung von Stickstoff sind Routine; Wasserelektrolyse wurde industriell durchgeführt, bevor die Methandampfreformierung zu einer billigeren Wasserstoffquelle wurde; große Ammoniaktanks und Tankschiffe sind seit Jahrzehnten im Routinebetrieb. Fritz Haber erhielt 1918 den Nobelpreis für die Synthese von Ammoniak aus seinen Elementen; Carl Bosch wurde 1931 für seine Bemühungen, dieses Verfahren zu einem großtechnischen Prozess zu entwickeln, mit dem Nobelpreis ausgezeichnet; und die Infrastruktur zur Unterstützung der Ammoniakindustrie wurde seither ständig optimiert.
Chemische Energie vs. Batterien
Ich werde oft gefragt, welche Speichertechnologie die „beste“ Lösung für erneuerbare Energien ist; meine Antwort ist, dass wir eine Reihe von Speichertechnologien einsetzen müssen, die für eine bestimmte Anwendung geeignet sind. Batterien spielen eine wichtige Rolle, aber ein Nachteil ist, dass die Speicherkosten bei Batterien linear sind: Wenn man die doppelte Kapazität benötigt, braucht man zwei Batterien.
Bei der chemischen Energiespeicherung kann man zunächst Strom und Energie entkoppeln. Man kann die Gasturbine wählen, um die benötigte Leistung zu liefern, und dann bestimmt die Dauer des Betriebs die Größe des Tanks, den man braucht. Wenn man eine große Energiekapazität wünscht, muss man nur den Tank vergrößern, was relativ billig ist – vor allem in großem Maßstab.
Die Zukunft des Ammoniaks
Für die Speicherung großer Energiemengen sind chemische Brennstoffe ein dichtes und bequemes Medium – deshalb sind sie heute allgegenwärtig. Das Problem bei den Brennstoffen, die wir heute verwenden, sind die Kohlenstoffemissionen, die bei ihrer Verbrennung entstehen. Eine Möglichkeit, Ammoniak zu betrachten, ist die Lösung des Problems, Kohlenwasserstoffbrennstoffe durch etwas zu ersetzen, das keinen Kohlenstoff enthält, und gleichzeitig die Probleme der Speicherung und Verteilung von Wasserstoff in großen Mengen zu überwinden. Eines der verlockenden Dinge an Ammoniak ist, dass es heute eine sehr etablierte Ammoniakindustrie gibt.
Es wurden viele Studien über unser zukünftiges Energiesystem durchgeführt, und obwohl diese nützlich und informativ sind, kommt der Zeitpunkt, an dem man mit dem Bau und der Erprobung von Systemen beginnen muss, um etwas über die realen Probleme bei deren Einsatz zu erfahren. Und für Ammoniak als grünen Energievektor ist diese Zeit jetzt gekommen.
***
Ian Wilkinson ist Programm-Manager bei Siemens Gas & Power