Warum steigen die Schmelz- und Siedepunkte der Edelgase mit zunehmender Ordnungszahl?

Wie in anderen Antworten erwähnt, ist die Dispersionskraft dafür verantwortlich, dass Edelgase Flüssigkeiten bilden. Nach einigen allgemeinen Bemerkungen zur Dispersionskraft wird nun die Berechnung der Siedepunkte skizziert.

Die Dispersionskraft (auch Londoner Kraft, Ladungsfluktuation, induzierte Dipolkraft genannt) ist wie die Schwerkraft universell, da sie zwischen allen Atomen und Molekülen wirkt. Die Dipolkräfte können weitreichend sein, >10 nm bis hinunter zu ca. 0,2 nm, je nach den Umständen, und sie können anziehend oder abstoßend sein.

Obwohl die Dispersionskraft quantenmechanischen Ursprungs ist, kann sie wie folgt verstanden werden: Für ein unpolares Atom wie Argon ist der zeitlich gemittelte Dipol gleich Null, dennoch gibt es zu jedem Zeitpunkt einen endlichen Dipol, der durch die momentanen Positionen der Elektronen relativ zum Kern gegeben ist. Dieser momentane Dipol erzeugt ein elektrisches Feld, das ein anderes annähernd gleich großes Atom polarisieren und so einen Dipol in ihm induzieren kann. Die daraus resultierende Wechselwirkung zwischen diesen beiden Dipolen führt zu einer momentanen Anziehungskraft zwischen den beiden Atomen, deren zeitlicher Mittelwert nicht Null ist.

Die Dispersionsenergie wurde 1930 von London mit Hilfe der quantenmechanischen Störungstheorie abgeleitet. Das Ergebnis ist

$$U(r)=-\frac{3}{2}\frac{\alpha_0^2I}{(4\pi\epsilon _0)^2r^6}=-\frac{C_{\mathrm{disp}}{r^6}$$

Wie aus der Formel ersichtlich ist, hängt die Energie vom Produkt aus dem Quadrat der Polarisierbarkeit, d. h.d. h. Volumen des Moleküls oder Atoms und seiner Ionisierungsenergie, sowie vom Kehrwert der sechsten Potenz des Abstandes der Moleküle/Atome ab. In einer Edelgasflüssigkeit kann dieser Abstand als der Atomradius $r_0$ angenommen werden. Die Abhängigkeit ist also viel komplexer als nur von der Größe, siehe Wertetabelle unten. Die Zunahme der Polarisierbarkeit mit zunehmender Ordnungszahl wird durch die Abnahme der Ionisierungsenergie und die Zunahme des Atomradius etwas ausgeglichen.

Wenn die experimentellen Werte in die Londoner Gleichung eingesetzt werden, kann die Anziehungsenergie berechnet werden. Außerdem kann der Siedepunkt abgeschätzt werden, indem man die Londoner Energie mit der mittleren thermischen Energie gleichsetzt als $U(r_0)=3k_\mathrm{B}T/2$, wobei $k_\mathrm B$ die Boltzmann-Konstante und $T$ die Temperatur ist. Die relevanten Parameter sind in der nachstehenden Tabelle aufgeführt, wobei die Werte in Klammern experimentelle Werte sind:

Die Anpassung an die Daten ist sehr gut, was möglicherweise zufällig ist, aber es handelt sich um kugelförmige Atome, die nur Dispersionskräfte zeigen, und es wird eine gute Korrelation mit dem Experiment erwartet. Allerdings werden Abstoßungskräfte über kurze Distanzen ebenso ignoriert wie Anziehungskräfte höherer Ordnung. Nichtsdestotrotz zeigt es, dass Dispersionskräfte den Trend beim Sieden recht erfolgreich erklären können.

  1. Israelachvili, J. N. Intermolecular and Surface Forces, 3rd ed.; Academic Press: Burlington, MA, 2011; S. 110.

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