Annals of the American Thoracic Society

An den Herausgeber:

In dem von Lanks und Kollegen (1) vorgestellten Fall des Klinischen Physiologen wurden mehrere Annahmen getroffen, die bei der Behandlung von Patienten mit Pickwick-Syndrom am besten vermieden werden sollten. Bei dem Patienten handelte es sich um einen 47-jährigen Mann mit einer dekompensierten fettleibigkeitsbedingten Atemwegserkrankung, dessen Symptome sich seit einem Monat verschlimmerten. Sein Ausgangs-PaCO2-Wert war unbekannt. Es wurden ihm zwei Liter Sauerstoff über eine Nasenkanüle verabreicht, und später wurde er als schläfrig eingestuft. Zu diesem Zeitpunkt ergab eine arterielle Blutgasprobe einen PaCO2-Wert von 99 mm Hg. Diesem Ergebnis folgten drei ungerechtfertigte Annahmen: erstens, dass der PaCO2-Wert seit der Einlieferung angestiegen war; zweitens, dass der erhöhte PaCO2-Wert die Schläfrigkeit verursachte; und drittens, dass der erhöhte PaCO2-Wert durch eine Depression des Beatmungsantriebs infolge der Korrektur der Hypoxämie verursacht wurde. Diese Annahmen sind aus mehreren Gründen unbegründet. Seit mindestens 1950 ist bekannt, dass sowohl die Inzidenz der Hyperkarbämie nach Korrektur der Hypoxämie als auch das Auftreten von Veränderungen des mentalen Status bei Hyperkarbämie stark variieren (2), wobei einige Patienten bei PaCO2-Werten von bis zu 175 mm Hg noch völlig klar waren (3). In einer neueren Studie führte die Gabe von 28 % Sauerstoff (ca. 2 l/min zusätzlicher Sauerstoff) bei Patienten mit Adipositas-Hypoventilationssyndrom zu einem durchschnittlichen Anstieg des CO2 von nur 2,5 mm Hg, und es ist unklar, ob dieser geringe Anstieg auf eine reduzierte Ventilation, einen erhöhten Totraum oder beides zurückzuführen ist (4). Keine dieser drei Annahmen lässt sich also durch klinische Erfahrung oder physiologische Überlegungen stichhaltig begründen. Eine alternative Erklärung ist, dass der Patient, erschöpft von den seit einem Monat bestehenden Symptomen und der jahrelang unbehandelten schlafbezogenen Atmungsstörung, einfach einschlief, als die Hypoxämie gelindert wurde. Dieses Szenario der Somnolenz aufgrund schierer Erschöpfung bei Patienten mit Atemwegserkrankungen wurde bereits 1992 beschrieben (3) und wird durch die jahrzehntelange klinische Erfahrung mit zunehmend adipösen Patienten bestätigt. Wenn also der PaCO2-Wert des Patienten nach der Einlieferung tatsächlich angestiegen ist, könnte dies nicht auf eine Sauerstofftherapie, sondern auf eine reduzierte Ventilation während des Schlafs zurückzuführen sein. Wenn eine dieser plausiblen und vielleicht wahrscheinlichen Alternativen zutrifft, hätte der Patient erfolgreich mit nichtinvasiver Beatmung behandelt werden können und eine mechanische Beatmung mit allen damit verbundenen Risiken vermieden werden können. Da selbst eine extreme akute Hyperkarbie mit einem PaCO2 von bis zu 250 mm Hg physiologisch gut toleriert werden kann (5), wäre es vielleicht ratsam gewesen, den Patienten sorgfältig zu beobachten, während man andere Hypothesen in Betracht zog und die Sauerstoffzufuhr reduzierte, solange er ansonsten stabil war und eine normale Atemfrequenz hatte. Eine letzte Annahme war, dass er aufgrund einer kompensierten respiratorischen Azidose mit einem PaCO2 von 82 mm Hg nicht extubiert werden konnte, so dass Acetazolamid verabreicht wurde. Die klinische Erfahrung entspricht nicht dieser Annahme, und solche Patienten können häufig mit kompensierter Hyperkapnie extubiert werden. Außerdem führte die Verabreichung von Acetazolamid in der DIABOLO-Studie (Effectiveness of Acetazolamide for Reversal of Metabolic Alkalosis in Mechanically Ventilated Chronic Obstructive Pulmonary Disease Patients) bei beatmeten Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung zu keiner signifikanten Verkürzung der Intubationsdauer (6). Acetazolamid kann jedoch die Extubation durch eine Verbesserung der Werte der Blutgasanalyse begünstigen, wenn die Ärzte diesen Werten eine übermäßige Bedeutung beimessen (7). Obwohl wir nicht wissen können, was mit diesem Patienten unter kontrafaktischen Umständen geschehen wäre, sollten wir und unsere adipösen Patienten offen bleiben, da, wie die Autoren zu Recht betonen, ihre Beatmungskontrolle möglicherweise nicht unseren Erwartungen entspricht.

Abschnitt:

1 . Lanks CW, Sue DY, Rossiter HB. Ein Pickwick’sches Problem: Wie wird die Atmung kontrolliert? Ann Am Thorac Soc 2019;16:138-143.

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